Alt-Bundespräsident Fischer warnt vor Gefahren für den Rechtsstaat
Festrede bei juristischer Tagung in Salzburg – Demokratie habe an “Stimmungsbonus” eingebüßt – Lehren aus der Geschichte beginnen sich zu verflüchtigen – “Speed Kills” wieder in Mode!
Alt-Bundespräsident Heinz Fischer hat am Mittwoch in einem Festvortrag zur Eröffnung der zweitägigen Tagung des “Jungen Forums Rechtsphilosophie” an der Universität Salzburg vor den Gefahren für den demokratischen Rechtsstaat in vielen Staaten Europas, explizit aber auch in Österreich, gewarnt.
Die Demokratie habe sich nach 1945 zwar in vielen Teilen Europas und auch über Europa hinaus gut entwickelt. In Österreich und in den meisten anderen Mitgliedstaaten der EU sei die parlamentarische Demokratie nach wie vor das vorherrschende und mit großer Mehrheit bejahte Regierungsmodell. “Dennoch müssen wir hellhörig sein für Signale aus der jüngsten Vergangenheit, die uns vor Gefahren für den Rechtsstaat warnen”, betonte Fischer laut Redetext.
Die junge und wiederaufgebaute Demokratie in den ersten Jahren nach dem Ende von Krieg und Diktatur, also nach dem Zweiten Weltkrieg, sei noch schwach und unterentwickelt gewesen, wurde aber dennoch von der Bevölkerung sehr positiv gesehen und empfunden. Diesen “Stimmungsbonus” habe unsere Demokratie in der Zwischenzeit allerdings eingebüßt.
Demokratie brauche immer auch ein gewisses Mindestmaß an sozialer Stabilität und Gerechtigkeit, um allzu große ökonomische, soziale und damit auch politische Erschütterungen zu vermeiden. Doch ein Wiedererstarken von nationalistischen Tendenzen und Vorurteilen führe zu einer Spaltung innerhalb der Gesellschaft wie auch zwischen den Staaten. “Ein Neo-Nationalismus, der die Bevölkerung nach nationalen und ethnischen Kriterien in ‘Wir’ und ‘die Anderen’ aufteilt und spaltet, wobei ‘die Anderen’ de facto und de jure als minderen Rechtes betrachtet werden – was Flüchtlinge und Asylsuchende hautnah zu spüren bekommen -, ist eine Gefahr für Demokratie und Rechtsstaat”, sagte Fischer.
Er gewinne immer mehr den Eindruck, dass die Lehren aus der Geschichte, aus dem Nationalsozialismus und dem Zweiten Weltkrieg, nicht zeitlich unbegrenzt anhalten. “Diese Lehren beginnen sich zu verflüchtigen, sobald jene Menschen und jene Generationen, die aus der Geschichte gelernt haben, aus unserem Kreis ausscheiden.” Dies sei für ihn ein wichtiger Teil zur Erklärung, warum nationalistische Ideologien sowie rechtsextreme und rechtsstaats-feindliche Positionen wieder an Einfluss gewinnen und wieso mit Errungenschaften des demokratischen Rechtsstaates neuerdings fahrlässig oder zumindest leichtfertig umgegangen werde.
“Sehr wohl muss in einem Rechtsstaat die Politik dem Recht folgen”, betonte Fischer in Hinblick auf die Aussage von Innenminister Herbert Kickl Anfang des Jahres. “Man kann es sogar noch schärfer formulieren: Jeder Politiker, jede Politikerin und auch die Politik als Ganzes ist dem Recht unterworfen. Dem Recht nicht zu folgen bedeutet Rechtsbruch”, sagte der Alt-Bundespräsident.
In diesem Zusammenhang sei es bemerkenswert, dass es in Österreich Versuchsballone gebe, ob man nicht die richterliche Kontrolle über die Verhängung der Haft zurückdrängen könnte, indem bei Flüchtlingen – und nur bei Flüchtlingen – die Verhängung einer Sicherungshaft bei vermuteter Gefährlichkeit durch die Verwaltungsbehörde ermöglicht werden soll. Auch das “Rattengedicht” des zurückgetretenen FPÖ-Vizebürgermeister von Braunau bedeute, dass eine Regierungspartei mit dem Satz “alle Menschen sind gleich an Rechten und Würde geboren” ein großes Problem habe.
Was die jüngste Entwicklung in Österreich betreffe, werde jedenfalls eine stärkere politische Polarisierung und Spaltung in Kauf genommen. Versuche, gründliche parlamentarische Verfahren mit einem Austausch von Argumenten und Gegenargumenten und der Einholung außerparlamentarischer Expertise auf ein Mindestmaß zu reduzieren, seien unübersehbar. “Der schon als überwunden betrachtete und für eine gute und korrekte parlamentarische Arbeit schädliche Grundsatz ‘Speed Kills’ kommt wieder in Mode”, so Fischer.
Es werde somit Aufgabe der Öffentlichkeit, kritischer Medien und der einschlägigen wissenschaftlichen Disziplinen, die weiteren Entwicklungen auf diesem Gebiet genau zu beobachten und entsprechend zu reagieren, so Fischer.
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